Di 3. Dezember 2013
Hoch oben im Norden, wo es zwei Monate im Jahr mehr Nacht als Tag und zwei Monate lang mehr Tag als Nacht ist, liegt eine besondere Insel: Island.
Ich lebe seit November 2001 in Reykjavík und es war keineswegs so, dass ich Deutschland „absichtlich“ verlassen habe – meine Partnerwahl fiel einfach auf einen Isländer und so habe ich ihn im Februar 2002 geheiratet.
Mein Abenteuer begann damit, Isländisch zu lernen. Einige Isländer meinten, Deutsche haben am wenigsten Probleme, Isländisch zu lernen, da Deutsch und Isländisch miteinander verwandt sind. Beides sind germanische Sprachen mit ähnlicher Struktur: drei Geschlechter, vier Fälle, bestimmte und unbestimmte Artikel. Wenn ich allerdings bedenke, dass es für die Ziffern eins bis vier jeweils zwölf verschiedene Varianten gibt…
Das soziale Netz der isländischen Gesellschaft ist extrem eng geknüpft. Es ist eine schwierige Aufgabe für „neue Isländer”, wie wir genannt werden, sich ein wirklich festes Plätzchen zu schaffen. Mein Mann hat mir so manche Tür geöffnet und ich wurde mit offenen Armen aufgenommen.
Nach der Wirtschafskrise im Oktober 2008 sind die Preise im Land gestiegen, Importwaren kosten wegen der schwachen Landeswährung wesentlich mehr. Die Lebensmittelpreise stiegen um 30 bis 50%, die Zinsen von Eigenheimkrediten über 20%. Steuern wurden massiv erhöht. Vor der Krise wurden Autokredite nur in ausländischer Währung angeboten, so dass die Abzahlung der Kredite nicht mehr gewährleistet war und viele Isländer zahlungsunfähig wurden. Sie verloren ihr Eigenheim und viele Firmen gingen bankrott, so dass viele Menschen arbeitslos wurden. Jeder bekam die Krise hautnah zu spüren – auch derjenige, der nicht auf Kredit lebte. Der Isländer ist bekannt dafür, selbst eine Tasse Kaffee oder ein Eis mit der Kreditkarte zu bezahlen.
2008 stand Island noch am Rande des finanziellen Abgrunds; heute wächst die Wirtschaft auf der Insel um ca. 2,5% pro Jahr.
“Eina með öllu” bedeutet z.B. Bratwurst im Brötchen. Das heißt auf Deutsch:„Eine mit allem” und ist quasi der Hot Dog des Isländers. Hangikjöt (geräuchertes Lamm) ist ein besonderes Essen und wird bei traditionsbewussten Isländern zu festlichen Anlässen serviert mit einer weißen Soße mit Karamellkartoffeln und Erbsen. Kalt isst man es auch als Aufschnitt, und zwar „á flatbrauð“. Frischer Fisch wird in allen Varianten zubereitet.
Hai findet man in jedem Lebensmittelladen. „Hákarl“ (Hai) wird zunächst geräuchert und anschließend nach dem Reifungsprozess – dafür wird er mancherorts vergraben – getrocknet. Er entwickelt einen strengen Ammoniakgeruch. Mir wurde er auf einer Haifischfarm angeboten. Ich habe ihn probiert in Kombination mit isländischen „brennivín“ – nie wieder!
Gern mag ich den Harðfiskur (Trockenfisch). Er wird nach einer alten Konservierungsmethode getrocknet und man kann ihn pur essen oder mit Butter, als kleine Zwischenmahlzeit.
„Þorrablót“ – dieses Fest wird Ende Januar mit einem großen Essen im Kreis von Freunden und Verwandten gefeiert. Dieses Jahr verlebte ich es in einer Hütte auf einem Gletscher. Ein mit Gas betriebener Generator erzeugte unseren Strom. Schnee wird in einem großen Topf gesammelt und erhitzt, so dass wir heißes Wasser hatten. Toiletten (Plumpsklos) waren abseits von der Hütte; es wurden Spiele gespielt, es wurde gesungen und gegessen: geräucherte und gepökelte Spezialitäten verzehrt. Trockenfisch, Lammköpfe, gepökeltes Lammfleisch und natürlich geräucherter Hai. Diese Speisen gehörten in den früheren Jahrhunderten zum isländischen Essen. Damit sie über die Wintermonate aufbewahrt werden konnten, wurden sie entsprechend konserviert. Ab Februar versucht man dann wieder frische Nahrungsmittel zu bekommen.
Der dritte Donnerstag im April ist der erste Sommertag und wird mit einen Straßenfest begangen, unabhängig ob es stürmt oder schneit. Es wird auch ein kleines Geschenk überreicht und man wünscht sich einen fröhlichen Sommer. Am ersten Sonntag im Juni wird den Seeleuten und Fischern gedankt. Es werden Kränze an den Denkmalern für die ertrunkenen Seeleute niedergelegt. Der Hafen wird geschmückt und es gibt ein Tagesprogramm. Mein Mann ist freiwilliges Mitglied auf einem Notrettungsboot. Ich kann mit auf das Schiff und die Übungseinsatze hautnah beobachten und so zum Beispiel sehen, wie Schiffbrüchige mit dem Hubschrauber aus dem Wasser gerettet werden.
Jedes Jahr kommen zum Weihnachtsfest die 13 Weihnachtsmänner, ihre Eltern Grýla und Leppalúði sowie die Weihnachtskatze. Ab dem 12. Dezember versammeln sie sich, um anschließend wieder nacheinander bis zum 6. Januar zu verschwinden. Die Kinder bekommen – wenn sie brav waren – jeden Tag ab dem 12.12. kleine Geschenke in ihre Schuhe gesteckt.
Kleine Weihnachtsmärkte und viele Lichterketten in den Straßen sorgen für festliche Stimmung. Für mich ist es die schönste Zeit. Am 23.Dezember ist die Hauptstraße in der alten Innenstadt geschlossen. Die Geschäfte haben bis 23.00 Uhr geöffnet. Am 24.12. und am 25.12. sind alle Geschäfte und Restaurants geschlossen. Hotelrestaurants sind wegen der Touristen geöffnet. Am Heiligen Abend ist mein Mann der Weihnachtsmann und besucht die Kinder in den Familien unserer Freunde und übergibt ein Geschenk und Süßigkeiten. Am Abend gibt es dann bei meiner Schwiegermutter „Hamburgurhrygg“ – das ist das traditionelle Weihnachtsessen mit Karamellkartoffeln, Rotkohl, Erbsen und Nachtisch. Danach werden die Geschenke geöffnet und die Weihnachtspost gelesen. Um Mitternacht gehe ich mit meinem Mann zum Mitternachtsgottesdienst in die Hallgrímkirche.
Am 1.Weihnachtsfeiertag versammelt sich die Familie bei meiner Schwiegermutter (ca. 20 Personen mit Kindern). Es gibt heißen Kakao und Kekse. Es wird gespielt und wir unterhalten uns. Abends gibt es „Lambakjöt“ mit Beilagen. Am 6. Januar gehen alle Weihnachtsmänner nach Hause. An verschiedenen Plätzen werden Lagerfeuer eröffnet; die Isländer versammeln sich, singen Volkslieder und tanzen um das Feuer. Der Abend wird mit einen Feuerwerk beendet.
Nach Weihnachten verkaufen die isländische Rettungseinheiten („Bjórgunasveit“ – sie helfen, wenn Menschen in Not geraten, z.B. bei Unwettern und Naturkatastrophen) Feuerwerk für Sylvester. Damit finanzieren sie ihre Rettungseinheiten. Der Staat gibt nur Zuschüsse.
Ich reise mit meinen Mann und Freunden häufig durch das Land. Die isländische Natur ist unberechenbar, man darf sie nicht unterschätzen. Mit einem spontanen Wetterumschwung ist nicht zu spaßen. Immer wieder kommen Touristen in Schwierigkeiten und müssen vom Rettungsdienst gerettet werden. Ich treffe viele von ihnen, die sich per Fahrrad über die Insel kämpfen. Ich verzichte dankend darauf, denn ich kenne den Wind, den Regen, die endlosen Lavafelder. Ich nutze die unterschiedlichen Jahreszeiten um Island per Jeep, Bus und bei Wanderungen zu erkunden.
Meine Lieblingstouren von Reykjavík aus sind im Sommer die Inselrundfahrt auf der Ringstasse 1: z.B. Þingvellir (der Ort der alten isländischen Volksversammlung), Gullfoss, Geysir, Vík í myrdal , Laki-Kraterreihe, Skaftafell, Mývatn, Dettifoss, snæfelness u.s.w. – oder durch das Hochland: Berge, gewaltige Gletscher, Schotterwüsten und warme Quellen. Das ist nur kleiner Querschnitt…
Im Winter fahren wir ins Hochland (Langjökull, Hofsjökull) mit speziell umgebauten Jeeps. Jeder Ausflug ist ein kleines Abenteuer. Es wird mit GPS gefahren, manchmal bei Schneestürmen, eiskaltem Wind und Temperaturen von minus 15 bis 20 Grad. Die Fahrtgeschwindigkeit beträgt zeitweise 5 km/Stunde. Beim Überqueren von Gletscherflüssen bricht manchmal ein Auto ein, Motor -oder Reifenpannen treten auf. Mein erster Gedanken war: der Jeep muss zurück bleiben. Isländer faszinieren mich, wenn sie bei gutem und schlechtem Wetter mit wenigen Hilfsmitteln die Jeeps reparieren. Mich beeindrucken besonders die Hilfsbereitschaft und der Zusammenhalt in der Gruppe. Ist das Tagesziel erreicht, wird in der Hütte gegrillt, gespielt, Erfahrungsberichte werden diskutiert beim Bad in einer warmen Quelle (wenn vorhanden). Man muss aufpassen, dass die Haare nicht nass werden, da sonst die Haarspitzen einfrieren und abbrechen – meine erste Erfahrung in den Bergen!
Ich habe zwei Vulkanausbrüche miterlebt: „Fimmvörðuhálsi“ und „Eyjafallajókull“, der den ganzen Flugbetrieb in Europa lahmgelegt hatte. Menschen waren nicht gefährdet. Wir haben ein gutes Vorwarnsystem. Die Farmen hatten einen großen Materialschaden und die Menschen lebten tagelang im Dunkeln (Aschesturm) und mussten wegen der beißenden Asche in ihren Häusern bleiben. Ein Aufenthalt im Freien war nur mit einer Mundmaske möglich. Die Weiden sind heute wieder grün.
Ich habe in den ersten Jahren auf einer neurologischen Station gearbeitet. 2009 habe ich auf die operative kardiologisch/chirurgische Intensivstation mit Kinderintensivpflege gewechselt. Meine Station umfasst 11 Betten. Unser Personalschlüssel ist 1:1, in der Nachtschicht 1:1 /1:2. Bei sehr pflegeumfassenden Patienten z. B. ECMO sogar 2:1.
Neben den akademisch ausgebildeten Krankenschwestern und -pflegern gibt es zudem eine Berufsgruppe, die wir in Deutschland nicht kennen. Es handelt sich um die „Shjúkraledi”, die nicht die Befugnisse und Kompetenzen der Krankenschwester hat, aber mit ihrer speziellen Berufsausbildung eine wertvolle und qualifizierte Unterstützung darstellt. Die Besuchszeiten sind nicht fest geregelt. Angehörige haben die Gelegenheit auf der Station zu schlafen. Es werden regelmäßig Aufklärungsgespräche geführt im Beisein der verantwortlichen Krankenschwester/des verantwortlichen Krankenpflegers. Eine Broschüre für Angehörige wird ausgehändigt; sie beinhaltet die wichtigsten Informationen zur Einrichtung und zum Tagesablauf. Es gibt auch das sogenannte „aktive Angehörigentelefonat“, das heißt, Angehörige können zu jeder Zeit anrufen und erhalten Informationen zum Zustand des Patienten und zu krankenhausübergreifenden Angeboten wie z.B. Krankenhausseelsorge oder den Kontakt zu Sozialarbeitern.
Um eine Gehaltserhöhung zu beantragen, muss man eine bestimmte Stundenanzahl an internen oder externen Fortbildungen in einem Jahr absolviert haben. In der Wirtschafskrise wurde auch im Gesundheitswesen gespart. Gesundheitszentren wurden geschlossen oder das Personal und Krankenbetten wurden reduziert. Schwerstkranke Patienten werden mit dem Hubschrauber von der Küstenwache nach Reykjavík geflogen. Der medizinische Standard und die Versorgung der Patienten waren nicht gefährdet.
Wir haben nur eine Krankenkasse; sie wird mit den Steuergeldern finanziert. Arztbesuche sind kostenpflichtig und man bezahlt anteilig Untersuchungen wie z:B. Blutentnahme, Röntgen oder Computertomographie. Medikamente und Zahnarztbehandlungen sind bis zum Alter von 18 Jahren kostenlos.
Im Krankenhaus und in Rehabilitationzentren gibt es keine „Klassenwahl” und in der medizinisch-pflegerischen Versorgung werden keine Kosten erhoben. Mir stehen im Jahr 24 Krankheitstage zu. Ich brauche erst nach dem fünften Tag eine Krankmeldung. Längere Krankheitsausfälle werden nach Zugehörigkeitsjahren verlängert.
Vor der Krise haben wir uns ein Haus gekauft, so dass ich genug Platz für meine Gäste aus Deutschland habe. Letztes Jahr wurde das Dach erneuert. Nach einem heftigen Sturm hatte es bei uns hineingeregnet. Im Sommer arbeite ich viel im Garten. Mein Mann will einen großen Teich anlegen, so dass unsere Goldfische ein Zuhause haben.
Meine Hobbies sind Lesen, Seidenmalerei, Schwimmen und anschließend „Hot Pott“. Wir fahren oft in die „Blaue Lagune“. Das geothermale Meerwasser enthält eine besondere Zusammensetzung aus Mineralen und einen hohen Anteil an Siliziumdioxid. Der Salzgehalt des Wassers beträgt 2,5%. Die Mineralien haben eine positive Wirkung auf die Haut. Die Blaue Lagune hat einen abgetrennten Bereich für Patienten mit Hauterkrankungen.
Seit letztem November haben wir einen Hund. Ich habe mit meinen Mann Fischfutter gekauft – und nach Hause gekommen sind wir mit einem Hund, genauergesagt: einer Hündin. Wir haben sie von einer Ausstellung der isländischen Tierhilfe mitgebracht, und bei uns hat sie ihr fünftes Zuhause in vier Jahren.
Das isländische Leben ist ein Abenteuer, aber ich fühle mich wohl. Das Lebensmotto auf der Insel hat mich geprägt. Es lautet: „Das lässt sich retten“.
Der Beitrag von Schwester Gabriele Rambau stammt aus der November-Ausgabe unserer Mitgliederzeitschrift “Die Diakonieschwester”.
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